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4. Advent Wachet auf
Philipp Nicolai (1556-1608), Sohn eines zur lutherischen Lehre übergetretenen Pfarrers, soll wie seine älteren Brüder Prediger werden. 1580 beendet er sein Theologiestudium in Wittenberg und sieht sich als linientreuer Lutheraner bald in einen aufreibenden Zweifrontenkrieg gegen Katholiken auf der einen und Calvinisten auf der anderen Seite verstrickt. Hier entdeckt Nicolai sein rhetorisches Talent. Streitschrift auf Streitschrift wirft er hinaus, alle sind gelehrt und gehässig. Und er verfasst Propagandalieder. Doch nicht die Polemik, erst die Pest macht ihn zum Poeten. 1596 nimmt Nicolai ein Pfarramt in Unna an, auch hier soll er das Luthertum gegen katholische und calvinistische Angriffe verteidigen. Nicolai ist gerüstet, doch kommt die eigentliche Bedrohung aus einer ganz anderen Richtung: 1597 bricht in Unna die Pest aus. In diesen Monaten der grassierenden Seuche fehlt ihm der Sinn für Konfessionsgezänk und Parteienpropaganda. Sein Sinnen richtet sich vom Diesseits auf das Jenseits, auf das "wunderschöne Paradeys" und das "himmlische Land Canaan". Er errichtet eine Gegenwelt: Inmitten von Tod und Elend entsteht so in trostloser Zeit das Trostbuch `FreudenSpiegel deß ewigen Lebens´: hymnisch-preisende Meditationen über die Pracht, Freude und Herrlichkeit des zukünftigen Lebens im himmlischen Jerusalem. In immer neuen Anläufen geht der Autor die biblischen Bilder von der Himmlischen Stadt durch, vom Hochzeitsmahl, von den frohlockenden Engelschören, vom lieblichen Bräutigam des Hoheliedes. Dem Buch sind vier Lieder beigegeben, drei von Philipp Nicolai sebst, eines von seinem Bruder Jeremias. Eines ist "ein anderes (geistliches Brautlied) von der Stimm zu Miternacht/ und den klugen Jungfrauen/ die ihrem himmlischen Bräutigam begegnen/ Mtth.25": Wachet auf, ruft uns die Stimme.
Das Lied ist aufs Engste mit dem "FreudenSpiegel" verknüpft. Alle seine Motive lassen sich meist wörtlich in dem Trostbuch wiederfinden. Gemeinsam ist Lied und Trostbuch auch das Verfahren, biblische Bilder neu zu komponieren und kreativ auszumalen. Dies wird schon in der ersten Strophe deutlich: im Zentrum steht das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen, die während des langen Wartens auf den sich verspätenden Bräutigam einschlafen und vom nächtlichen Ruf geweckt werden. Diesen Weckruf legt Nicolai nun aber jenen Wächtern aus dem Buch Jesaja in den Mund, die das Kommen Gottes und seine Vermählung mit der Stadt Jerusalem ankündigen sollen. Nicolai verarbeitet die biblischen Motive souverän zu einem neuen Sinngefüge. Ihm geht es nicht wie dem matthäischen Gleichnis um Buße und Vorbereitetsein in Erwartung des Bräutigams. Er konzentriert die Aufmerksamkeit einzig auf den Augenblick des Kommens und auf die Reaktionen, die dieses freudige Ereignis auf die sehnsüchtig Wartenden haben soll (nicht weniger al sechs Imperative prägen die Strophe). Von Buße, Ausschluss, Gericht oder Scheitern ist mit keiner Silbe die Rede, hier gibt es nur kluge Jungfrauen. Strophe 2 führt inhaltlich die 'Aufeinander zu'-Bewegung aus Strophe 1 (Der Bräutgam kommt – Ihr müsset ihm entgegengehn) fort: Zion ... steht eilend auf: Ihr Freund kommt. Unter der Hand verwandeln sich jedoch die Brautjungfern aus Strophe 1 in die Braut selbst: Zion, ursprünglich der Berg des Jerusalemer Tempels, ist schon bei Jesaja die vermählte Gottes, die Jungfrau, die Braut. Mit dem Ende der zweiten Strophe ist die Dynamik des Aufeinanderzugehens an ihr Ziel gekommen: Die Jungfrauen sind dem Bräutigam in den Freudensaal gefolgt. Die dritte Strophe verzichtet daher auf Verben der Bewegung, auch die Licht- und Hochzeitsmotive treten in den Hintergrund. Was alle drei Strophen verbindet, ist die Topographie der himmlischen Stadt: Von den Zinnen Jerusalems führt das Lied über den Freudensaal durch die Tore zum Thron. Die ganze Atmosphäre der Schluss-Strophe ist durch die Vision der Offenbarung des Johannes über den immerwährenden Lobpreis bestimmt, den die Engel allezeit vor Gottes Thron erklingen lassen. Auch das architektonische Detail der Pforten folgt der Schrift des Sehers auf Patmos ("Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen"), während die Begleitinstrumente der Singenden dem letzten Stück des Psalmenbuches, dem großen Halleluja von Psalm 150 entliehen sind (Lobt ihn mit Harfe und Zither"). In diesen himmlischen Lobpreis stimmen auch die Menschen mit ein – gemäß dem Wort Jesu, wonach die Auferstandenen "sein werden wie Engel" (Mk 12,25). Die unsagbare Unbeschreiblichkeit dieser himmlischen Liturgie ist mit den Worten aus dem ersten Brief an die Korinther angedeutet: "Wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben." Die Freuden des Himmels übersteigen auch alle Bilder, die wir uns davon machen können. Die Schluss-Strophe spricht nicht mehr von Brautjungern, Bräutigam und Hochzeit – was zu sagen ist, lässt sich höchstens noch in der Sphäre der Musik ausdrücken (Gloria sei dir gesungen). Doch selbst hier versagen schließlich die Worte, der Gesang geht in ein Jauchzen über und in das Lied, das der Legende nach ein Engel selbst aus den himmlischen Sphären mitbrachte. Denn ursprünglichheißt es bei Nicolai nicht Des jauchzen wir und singen dir / das Halleluja für und für, sondern: Deß sind wir froh/ jo/ jo/ Ewig in dulci iubilo. Das Lied erlebt mehrere Neuauflagen. Im evangelischen Bereich lässt es sich in ungebrochener Tradition vom 17. Jahrhunder bis in die Gegenwart verfolgen. Das 19. Jahrhundert greift leider in den Wortlaut der dritten Strophe ein: Statt tatsächlich zu jauchzen (jo/ jo), dürfen die Singenden nur noch sagen, dass sie jauchzen. Das ist ein bisschen so, als würde man nur noch davon sprechen, dass man küssen will – es aber nicht mehr tut. In katholischen Gesangbüchern taucht das Lied erst im 20. Jahrhundert auf und knüpft leider an den redigierten Text an. Die Rubriken, unter denen es in Gesangbüchern geführt wird, sind entweder 'Endes des Kirchenjahres/Wiederkunft Christi' oder 'Advent'. Zu beiden Zeiten sieht die Liturgie biblische Texte vor, die mit großem Ernst von Wachsamkeit, Buße und Gericht sprechen, und hier wie dort setzt das Lied von Nicolai einen unverwechselbaren Akzent: der Wächterruf zielt ja auf Buße und eine Lebensführung, die nicht töricht ist, sondern klug. Und ähnlich sagt es auch das Gleichnis der törichten und klugen Jungfrauen: es geht darum, genügend Öl gesammelt zu haben, sonst droht der Ausschluss von der Feier. Diese Wächterrufe beschreiben das Verhältnis des Menschen zu Gott als das Verhältnis zwischen Sünder und Richter, zwischen Erbarmer und Erbärmlichen. Diese Wächterrufe sind notwendig, denn sie zeigen, dass das Leben eine ernste Sache ist, dass man das Freudenfest der Hochzeit auch verpassen kann. Aber das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist auch das Verhältnis zwischen Liebendem und Geliebter, zwischen Braut und Bräutigam. Der Herr kommt nicht nur wie ein Dieb in der Nacht (Mt 24,42), sondern auch in der Nacht wie ein anklopfender Bräutigam (Hld 5,2). Damit das nicht vergessen wird, hat Nicolai das Liebeslied Wachet auf, ruft uns die Stimme geschrieben, dass nur kluge und glückliche Bräute kennt. Mahnungen, Warnungen und die Sorge um genügend Öl dürfen hier in den Hintergrund treten.
Es ist eine glückliche Entscheidung, dass dieses Lied im neuen Gotteslob den gesamten Liedteil beschließt.
Quelle: Franz, Kurzke, Schäfer (Hg): Die Lieder des Gotteslob in Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart, 2017
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