Jede/r wird in dieser Haltung wertgeschätzt und angenommen. Gottes Liebe macht vor Niemandem Halt.
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Seit dem hohen Mittelalter blühte, verbreitet insbesondere durch die Zisterzienser und Franziskaner, die Spiritualität der compassio, des Mitleidens mit Christus. Es ging darum, den scheinbar unüberbrückbaren Abstand zwischen dem sündigen Menschen und dem heiligen Gott zu überwinden, indem man sich emotional in das Leben und Leiden des Gottessohnes, vor allem rund um Geburt und Passion, vertiefte.
Die geistliche Aneignung dieser Frömmigkeitsform erlebte im Barock eine ausgesprochene Blüte, wovon nicht zuletzt die Lieder Paul Gerhardts (1607-1676) Zeugnis geben. Zu deren bedeutendsten zählt Ich steh an deiner Krippe hier.
In den aktuellen Gesangbüchern ist es flächendeckend verbreitet, allerdings im Vergleich zum ursprünglichen Umfang von fünfzehn Strophen unterschiedlich stark gekürzt. "Es ist in jedem Worte ganz außerordentlich gefüllt und schön", schreibt Dietrich Bonhoeffer aus der Haft im Advent 1943, als er das Lied neu für sich entdeckt hatte. Erschienen war es erstmals 1653. Gerhardts Weihnachtslied ist eine vertraute, intime Anrede an das Kind in der Krippe. Der szenische Rahmen, ein in kraftvollen Farben gezeichnetes inneres Bild, dient dem Beter als Medium, die Beziehung zu seinem Heiland durchzubuchstabieren. Das Lied spricht die Sprache der Liebe, wie nicht zuletzt die wiederholten Verkleinerungsformen anzeigen. Liebe drückt sich in Geschenken aus, und seit dem Besuch der Weisen aus dem Morgenland ist Weihnachten mit Geschenken verbunden. Auch das Ich des Liedes tritt mit einem Geschenk an die Krippe heran: Ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben. Die Wechselseitigkeit der Gabe beleuchtet einen paradoxen Kontrast: Der Beschenkte in seiner augenfälligen Kleinheit und Schwachheit ist in Wahrheit der Schöpfer des Schenkenden. Ehe es diesen überhaupt gab, hat jener ihm schon das größte Geschenk gemacht, das sich nur denken lässt - sich selbst. Daher gründet die Selbstübereignung des Beters schon in der unendlich zuvorkommenden Wahl Gottes. Gerhardt hält präsent, zu welchem Ziel sich Gott in Christus dem Menschen dahinschenkt: Strophe 4 bringt die Erlösung ins Spiel, wobei zunächst ausgeblendet bleibt, dass der Weg dorthin über das Kreuz führt. Vielmehr wird die Erlösung zusammen mit der Schöpfung im uranfänglichen Ratschluss Gottes verankert. Der Gegensatz von Licht und Finsternis lässt an die Schöpfungsgeschichte denken: Die Leben und Heil spendende Sonne Gottes leuchtet von Anbeginn der Welt. Im Unterschied zur physischen Sonne kann man sie jedoch nicht mit den Augen sehen; ihre Wahrnehmung vollzieht sich über das werte Licht des Glaubens.
In den Strophen 5 - 9 wird das Motiv der Schönheit breit entfaltet. Die Schönheit Jesu übersteigt jedoch alles sinnenhafte Wahrnehmen. Strophe 6 spielt auf zwei Stellen im Hohelied an, die den Mund der Braut preisen. Jesu Mund übertrifft den solcherart gepriesenen Mund der Braut, und worin seine Kraft voll Labsal, Stärk und Saft besteht, wird in Strophe 7 deutlich: Es ist das Evangelium, das dieser Mund kundtut und das in jeder Trauer Trost spendet - Jesus ist der Freund des Beters, er tilgt seine Sünden und zahlt seine Schulden. Damit kling erstmals das Motiv des Kreuzes an, die heilsgeschichtliche Gestalt des in Strophe 4 vorbereiteten Erlösungsmotiv.
In Strophe 8 und 9 deuten die ausgestreckten Hände und der Blick Jesu - unverwandt nach mir gerichtet - das Werk des Erlösers an. Mit Strophe 10 ändert sich der Ton. Es geht um einen Kontrast zwischen der Schönheit, Reinheit und Güte Jesu und den rauhen Umständen seiner Geburt, die bereits auf die Passion vorausweisen. Schon in der menschlichen Gesellschaft gehören edle Kinder großer Herren in güldne Wiegen - wie viel mehr gilt dies dann für den eingeborenen Sohn des himmlischen Vaters? Der Beter schwelgt in Kostbarkeiten, auf die er das Kind betten möchte. Zu den edlen Stoffen kommt in Strophe 11 die Pracht der Blumen. Die schönen Gärten erscheinen so auch als Chiffre für die Seele des Beters, der Jesus seine edelsten Regungen zueignet. Dann jedoch werden in Strophe 12 die Gedankenspiele jäh von der Erkenntnis unterbrochen: Doch liebt viel mehr das dürre Gras dies Kindelein als alles das, was ich hier nenn und denke. Was folgt für den Beter daraus? In den Strophen 7 bis 12 hatte es keine direkte Anrede an Jesus mehr gegeben, der Dialog ist vorübergehend zum Erliegen gekommen. Es scheint, als ob die schwelgerische Ausmalung der Schönheit des Kindes und der ihm gebührenden Stätte vom Eigentlichen der Beziehung zwischen dem Ich und Jesus weggeführt hätte. In Strophe 13 kommt dieses Eigentliche, die Erlösung, zur Sprache: Du hast dich bei uns eingestellt, an unserer statt zu leiden - der Weg Jesu führt von der Krippe zum Kreuz. Das alte Motiv des heiligen Tausches klingt anschließend an: Elend und Armseligkeit sind der menschlichen Natur zu eigen, insofern sie Leid und Tod ausgesetzt ist. Herrlichkeit ist hingegen die Sphäre Gottes. In Jesus Christus, der Gott und Mensch zugleich ist, überkreuzen sich die Sphären. Gott steigt aus seiner Herrlichkeit hinab in Elend und Armseligkeit, um umgekehrt dem Menschen Anteil an der göttlichen Herrlichkeit zu geben. Auch wenn der Beter am liebsten das Stroh in der Krippe gegen die schönsten Blumen getauscht hätte, kann und will er sich diesem Weg der Erlösung nicht entgegenstellen. Mit den Schwernissen des Weges Jesu muss der Beter seinen Frieden machen. Stattdessen formuliert er am Schluss des Liedes eine andere Bitte: Der Heiland möge ihm die bleibende Gemeinschaft nicht verwehren. Er selbst will für ihn das Kripplein sein, Ort der Ankunft Gottes in der Welt. Es ist wieder ein Kontrast, der das Lied beschließt: Kann das Ich, so gering es ist, nur Staub und Erde, den Schöpfer aller Ding überhaupt aufnehmen? Die Antwort gibt ein motivischer Verweis innerhalb des Textes auf das Schöpfungsthema, das in Strophe 3 bereits angeklungen war: Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wolltest werden. Daher muss sich das Ich nicht sorgen, wie es seinen frommen Gast angemessen bewirten könnte. Dieser schlägt die Einladung nicht aus; in Wahrheit ist er es nämlich, der zuallererst einlädt. Die Bitte, selbst die Krippe sein zu dürfen, verschränkt die eigene Lebensgeschichte mit der biblischen Heilsgeschichte. Selbst die Krippe zu sein, bedeutet auch, seinem Anspruch zu genügen: "Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig" (Mt 10,37).
So steht am Ende die Mahnung, dass die Krippe für jeden, der zu Christus gehört, ohne das Kreuz nicht zu haben ist. Die fröhlichen Weihnachten sind nur die halbe Wahrheit. Diesen Gedanken erspart sich freilich die auf die Strophen 2 sowie 3 - 5 reduzierte Fassung im Gotteslob.
Die Melodie findet sich zu allererst in einem Gesangbuch 1736 in Leipzig. Sie wird allgemein Johann Sebastian Bach zugeschrieben - zumindest die Bassstimme stammt von ihm. Ursprünglich für ein Sololied gedacht, hat sie sich im Laufe der letzten Jahrzehnte auch im Gemeindegesang durchgesetzt. Sie liegt in ihrer Mollfärbung näher an der im Text beabsichtigten Haltung einer inneren Betrachtung als die Melodie, mit der es im vorherigen Gotteslob verbunden war. Dort wurde der Text noch auf eine von Martin Luther geschaffene Weise gesungen. Im neuen Gotteslob gehört sie zu Lobpreiset all zu dieser Zeit (Nr. 258).
Quelle: Franz, Kurzke, Schäfer (Hg): Die Lieder des Gotteslob in Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart, 2017
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